Wenn man unter der Eisenbahnbrücke an der Bochumer Bergstraße entlanggeht, fällt einem zunächst nichts Besonderes im städtischen Umfeld auf. Erst wenn man nach oben auf die Stahlkonstruktion der Brücke schaut, entdeckt man als aufmerksamer Beobachter die Weltkarten, die Norbert Radermacher im Jahr 1991 dort angebracht hat.

Das Kunstwerk entstand in Zusammenarbeit mit dem Kunstverein Bochum und wurde der Stadt geschenkt. Zwischen den Stahlstreben der Eisenbahnbrücke stehen sich zwei vereinfachte Weltkarten gegenüber, die unterschiedliche Darstellungen unserer Erde zeigen. Die Landmassen der Erde sind in Weiß auf einem schwarzen Hintergrund dargestellt, was die Wasserflächen symbolisiert. Eine der Karten zeigt die Welt aus einer eurozentrischen Perspektive, wie wir es aus Atlanten kennen, mit Europa im Zentrum. Die andere Karte zeigt eine Ansicht, in der der Pazifische Ozean und Ostasien im Mittelpunkt stehen, während Europa am Rand der Karte liegt.

Die eigentliche Wirkung der Weltkarten entfaltet sich erst nach Einbruch der Dunkelheit. Dann werden sie von einer Straßenlaterne angestrahlt, wodurch das Licht von der weißen Farbe reflektiert wird. Die Kontinente erscheinen nun besonders hell und heben sich deutlich vom schwarzen Hintergrund und der dunklen Umgebung ab. Die Straßenlaterne ist Teil des Kunstwerks und wurde so verlängert, dass sie bis in die Unterkonstruktion der Eisenbahnbrücke reicht. Diese künstlerische Intervention fällt auf den ersten Blick kaum auf, erst bei genauerem Hinsehen bemerkt man die veränderte Höhe und Positionierung der Straßenbeleuchtung.

Norbert Radermacher schafft hauptsächlich Werke im öffentlichen Raum, die speziell auf den jeweiligen Ort zugeschnitten sind und auf den ersten Blick nicht unbedingt als Kunst wahrgenommen werden. Er wählt bewusst städtische „Unorte“ aus, Orte, die normalerweise wenig Bedeutung haben oder als hässlich betrachtet werden, wie Unterführungen oder Straßenecken. Seine Werke beziehen sich immer auf den konkreten Ort und stellen einen ironischen Kommentar dazu dar. Dabei möchte Radermacher weder anklagen noch den städtischen Raum durch seine Kunst verschönern. Sein Publikum sind nicht primär Kunst- und Kulturinteressierte, sondern vor allem zufällige Passanten. Mit seinen Interventionen möchte er sie auf ihre urbane Umgebung aufmerksam machen, irritieren und dazu anregen, genauer hinzuschauen und darüber nachzudenken.

Radermachers Arbeitsweise beschreibt er selbst folgendermaßen: „Die Stadt ist meine Landschaft. Täglich komme ich mit ihr in Berührung […] Manchmal bleibt der Blick irgendwo hängen. Es ist ein Bild. Ein Wort fällt mir ein oder ein Gegenstand, den ich irgendwo sah, der hier aber fehlt und der doch genau hier unerwartet seinen Ort finden könnte.“

Die Weltkarten an der Bochumer Brücke thematisieren zum einen das Reisen, wofür die Eisenbahn symbolisch steht.

Zum anderen sind sie ein kritischer Kommentar zur eurozentrischen Sicht auf die Welt. Durch die Darstellung der Erde aus einer anderen Perspektive in der zweiten Weltkarte werden Betrachter dazu angeregt, über vorherrschende Darstellungs- und Wahrnehmungskonventionen nachzudenken.

Standort: Bochum, Nordring

Fotografie: Andreas Ren
Text: AloIs Tiehr
Quelle/Recherche: Public Art Ruhr, Ruhrkunstmuseen
 Ort: Innenstadt Bochum
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